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The Education Forum

"Nationalsozialismus und Holocaust"


UlrikeSchuhFricke

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Liebe Kollegen und Kolleginnen,

in dem englsichen Forum wird zur Zeit von Kollegen und Kolleginnen diskutiert, wie das Thema "Nationalsozialismus und Holcaust" den SchülerInnen im Unterricht vermittelt werden kann.

Ich selbst stelle fest, dass es dringend notwendig ist, sowohl über die Ziele, mit denen wir diese Themen unterrichten, als auch über die Art und Weise wie wir dies tun, verstärkt nachzudenken. Die Schülergenerationen ändern sich. Mein persönlicher Zugang zu dem Thema war dadurch gegeben, dass es eine Auseinanderstzung mit meinen Eltern, meinen Lehrern und auch Hochschullehrern bzw. deren Vergangenheit war. Für die heutigen Schülergenerationen ist dies bereits die Großelterngeneration und die Zahl der Zeitzeugen nimmt stetig ab.

Ich sehe im Moment zwei große Probleme: einerseits gibt es bei unseren Schülern so etwas wie "wir haben von diesem Thema genug"- Haltung, die durch entsprechende Beiträge von Intelektuellen (Martin Walser) und Politikern (Hohmann) gefördert wird; andererseits kann das Thema leicht zu einem Geschichtsthema wie jedes andere werden.

Beide Probleme müssen von uns diskutiert und in unserem Unterricht gelöst werden.

Ein Zugang, der sich in meinem Unterricht nach wie vor mit OberstufenschülerInnen bewährt hat, ist die Anlehnung an Adornos Beschreibung des "autoritären Charkters". Ausgehend von seinen Beschreibungen kann ein Fragebogen zum Messen des autoritären Potentials in jedem Einzelnen erstellt werden und man stellt dann zumeist fest, dass wir alle ein recht viele Merkmale eines autoritären Charakters haben. Die Reaktion der SchülerInnen reicht von Wut, Unverständnis bis Ablehnung, aber sie öffnet nicht nur den intellektuellen, sondern auch emotionalen Zugang zu dem Thema, ermöglicht Leitfragen und der Kreis schließt sich, wenn man am Abschluss der Unterrichtseinheit auf Adorno zurückkomt und dessen Konstrukt hinterfragt. Der Ansatz bietet auch die Möglichkeit, deutsche Besonderheiten deutlich zu machen und diese nicht als Belastung, sondern als Herausforderung für alle Generationen zu sehen.

Es wäre schön, wenn wir mit Hilfe dieses Forums in ein Gespräch über Ziele und Methodik dieses Unterrichtsthemas kommen könnten.

Ein gutes Neues Jahr

Ulrike

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Nicht nur im deutschen und österreichischen Raum weckt das Thema Nazionalsozialismus und Holocaust grosses Interesse.

Ich sehe im Moment ....  Probleme: einerseits gibt es bei unseren Schülern so etwas wie "wir haben von diesem Thema genug"- Haltung, die durch entsprechende Beiträge von Intelektuellen (Martin Walser) und Politikern (Hohmann) gefördert wird

Ich glaube nicht, dass die Schüler nur ablehnend zu dem Thema stehen. Eher ist es das Thema Schuld und Buße, womit sie nichts mehr anfangen können. Interesse gibt es genug: denk doch an das Interesse an Guido Knopp's Serien im ZDF.

andererseits kann das Thema leicht zu einem Geschichtsthema wie jedes andere werden.

Kann natürlich sein, aber ich glaube, dass gerade dieses Thema als Teil der deutschen/ österreichischen Geschichte aufgearbeitet werden muss.

In den Niederlanden haben wir, Geschichtelehrer, ein anderes Problem: das Interesse ist sehr gross, aber bald einmal besteht die Vorstellung vom Krieg aus Simplifizierungen (Gut-Böse) und Mystificationen. Hier muss man zuerst einmal aufklären. Zeitzeugenbefragung kann dabei immer noch hilfreich sein, aber 2004 läuft und die Zeit davon!

Ein Zugang, der sich in meinem Unterricht nach wie vor mit OberstufenschülerInnen bewährt hat, ist die Anlehnung an Adornos Beschreibung des "autoritären Charkters". Ausgehend von seinen Beschreibungen kann ein Fragebogen zum Messen des autoritären Potentials in jedem Einzelnen erstellt werden

Es wäre hilfreich diesen Fragebogen im Forum zu stellen!

Nico Zijlstra

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Anbei die Fascismus Skala bzw. der Fragebogen nach Adorno.

Die F=Faschismus Skala wurde im Laufe einer soziologischen Untersuchung entwickelt, die Skala selbst in verschiedenen Experiementreihen überprüft und überarbeitet. Das Ziel war es, das antidemokratische, dogmatische und faschistische Potential einer Gesellschaft zu messen (Die Hypothese war und ist, das dies messbar ist). Die Skala enthält neun Variable, die sich so ergänzen, "dass sie ein einziges Syndrom, eine mehr oder weniger dauerhafte Struktur im Individuum bilden konnten, die es für antidemokratische Propaganda anfällig macht" (Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt/Main 1973, Seite 46)

Die Skala ist im oben zitierten Werk auf den Seiten 81-84 zu finden (die Variablen sind mit Buchstaben gekennzeichnet):

"a Konventionalismus: Starres Festhalten an konventionellen Wertvorstellungen des Mittelstandes.

1. Wer schlechte Manieren und Angewohnheiten und eine schlechte Erziehung hat, kann kaum erwarten, mit anständigen Leuten zurechtzukommen.

2. Wenn die Menschen weniger reden und mehr arbeiten würden, könnte es uns allen besser gehen.

3. Der Geschäftsmann und Fabrikant sind viel wichtiger für die Gesellschaft als der Künstler und der Professor.

b Autoritäre Unterwürfigkeit: Unterwürfige, kritiklose Haltung gegenüber idealisierten moralischen Autoritäten der Eigengruppe.

4. Gehorsam und Respekt gegenüber der Autorität sind die wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten.

5. Die Wissenschaften haben ihre Berechtigung, aber es gibt viele bedeutsame Dinge, die der menschliche Geist wahrscheinlich niemals verstehen wird.

6. Jeder Mensch sollte einen festen Glauben an eine übernatürliche Macht haben, deren Entscheidungen er nicht in Frage stellt.

7. Junge Menschen haben manchmal rebellische Ideen; wenn sie aber erwachsener werden, sollten sie das überwinden und sich zufriedengeben.

8. Was dieses Land vor allem braucht, mehr als Gesetze und politische Programme, sind ein paar mutige, unermüdliche, selbstlose Führer, denen das Volk vertrauen kann.

9. Kein gesunder, normaler, anständiger Mensch könnte jemals daran denken, einen guten Freund oder Verwandten zu kränken.

10. Wichtige Lehren muss man stets mit Leiden bezahlen.

11. Um gute Arbeit zu leisten, ist es notwendig, dass unsere Vorgesetzten im einzelnen angeben, was zu tun und wie es genau anzufassen ist.

12. Man sollte in der Öffentlichkeit Dinge vermeiden, die anderen falsch erscheinen, auch wenn man weiß, dass sie in Wirklichkeit in Ordnung sind.

c Autoritäre Aggression: Tendenz, nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Normen verletzen, um sie zu verurteilen, zu verwerfen und zu bestrafen.

13. Was die Jugend am meisten braucht, ist strikte Disziplin, harte Entschlossenheit und den Willen, für Familie und Vaterland zu arbeiten und zu kämpfen.

14. Wer unsere Ehre beleidigt, muss auf jeden Fall bestraft werden.

15. Sittlichkeitsverbrechen, wie Vergewaltigung und Notzucht an Kindern, verdienen mehr als bloße Gefängnissstrafe; solche Verbrecher sollten öffentlich ausgepeitscht oder noch härter bestraft werden.

16. Es gibt kaum etwas Gemeineres als einen Menschen, der nicht große Liebe, Dankbarkeit und Achtung für seine Eltern empfindet.

17. Die meisten unserer gesellschaftlichen Probleme wären gelöst, wenn man die Asozialen, Gauner und Schwachsinnigen loswerden würde.

18. Der Haken bei der Frage, ob jedermann bei der Regierung mitreden soll, ist, dass so viele Leute von Natur aus zu dumm oder voller verrückter Ideen sind.

d Anit-Intrazeption: Abwehr des Subjektiven, Phantasievollen, Sensiblen.

19. Wenn jemand Probleme oder Sorgen hat, sollte er am besten nicht darüber nachdenken, sondern sich mit erfreulicheren Dingen beschäftigen.

20. Heute mischen sich immer mehr Menschen in persönliche Angelegenheiten anderer ein, die Privatsache bleiben sollten.

e Aberglaube und Stereotype: der Glaube an die mystische Bestimmung des Schicksals; die Disposition, in rigiden Kategorien zu denken.

21. Die Menschen kann man in zwei Klassen einteilen: die Schwachen und die Starken.

22. Eines Tages wird sich wahrscheinlich zeigen, dass die Astrologie vieles erklären kann.

23. Manche Menschen haben den angeborenen Drang, sich in die Tiefe zu stürzen.

24. Kriege und soziale Unruhen werden wahrscheinlich eines Tages durch ein Erdbeben oder eine Flutkatastrophe beendet werden, welche die Welt vernichtet.

25. Man sollte niemand trauen, der einem nicht gerade in die Augen schauen kann.

f Macht und "Robustheit": Denken in den Dimensionen Herrschaft - Unterwerfung, stark - schwach, Führer - Gefolgschaft; identifizierung mit Machtfiguren; Überbetonung der konventionalisierten Attribute des Ich; übertriebene Zuschaustellung von Stärke und Robustheit.

26. Jeder wird kämpfen. um sein Eigentum zu verteidigen.

27. Weder Schwäche noch Schwierigkeiten können uns zurückhalten, wenn wir genug Willenskraft haben.

28. Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden.

29. Was ein Mensch macht, ist nicht so wichtig, solange er es gut tut.

g Destruktivität und Zynismus: Generalisierende Feindseligkeit, Verleumdung des Menschlichen.

30. Es wird immer Kriege und Konflikte geben, die Menschen sind nun einmal so.

31. Vertraulichkeit erzeugt Geringschätzung.

32. Unsere Werte sind so schnell im Schwinden, dass Zwang nötig sein wird, um sie zu bewahren.

h Projektivität: Die Disposition, an unsinnige und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben; die Projektion unbewußter emotionaler Impulse nach außen.

33. Heutzutage, wo so viele verschiedene Menschen ständig unterwegs sind und jeder mit jedem zusammenkommt, muss man sich besonders sorgfältig gegen Infektionen und Krankheiten schützen.

i Sexualität: Übertriebenes Interesse an sexuellen "Vorgängen".

34. Die sexuellen Ausschweifungen der alten Griechen und Römer waren ein Kinderspiel im Vergelich zu gewissen Vorgängen bei uns, sogar in Kreisen, von denen man es am wenigsten erwarten würde.

35. Homosexuelle sind entartete Kreaturen und sollten streng bestraft werden.

Soweit die Origianl Adorno Skala, die man sicher für den Unterricht entsprechend bearbeiten, erweitern, umformulieren etc. muss.

Edited by UlrikeSchuhFricke
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"Ich glaube nicht, dass die Schüler nur ablehnend zu dem Thema stehen. Eher ist es das Thema Schuld und Buße, womit sie nichts mehr anfangen können. Interesse gibt es genug: denk doch an das Interesse an Guido Knopp's Serien im ZDF."

Das Gefühl "beschuldigt" zu werden, kann aber den Einstieg erschweren und die Motivation negativ beeinflussen. Daher ist es mir um so wichtiger, darüber nachzudenken, wie wir uns diesem Thema nähern.

Ich persönlich habe in wachsendem Maße Probleme mit den Filmen von Guido Knopp, da sie meines Erachtens zu stark individualisieren und personalisieren, was schon an den Titeln der Reihen deutlich wird (Hitlers Frauen, Hitlers....). Ich habe allerdings gute Erfahrungen mit diesen Dokumentationen im Unterricht gemacht, da sie sich gut als Einstieg eignen; am Schluss der Unterrichtseinheit haben wir in der Klasse die Art und Weise, wie in dem Film ein bestimmter Aspekt dokumentiert wurde, kritisch beleuchtet. Diese kritische Beleuchtung bezog sich sowohl auf die Schwerpunktsetzung, die Knopp vorgenommen hatte als auch auf die filmischen Mittel, mit denen er gearbeitet hat.

Ich werde die Adorno Materialien ins Netz stellen.

Edited by UlrikeSchuhFricke
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  • 8 months later...

Meiner Meinung nach geht es bestimmt nicht darum, dass Schüler(innen) sich schuldig fühlen, eher dass man ihnen hilft, kritisch darüber nachzudenken. - oder habe ich das alles falsch verstanden?

Was mich noch weiter interessieren würde, wären die möglichen unterschiedlichen von Schüler(Innen) aus verschiednen Ländern

Einstellungen zu dem Film und zwar zu dem Thema.

Grüsse aus England,

Chris.

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  • 2 weeks later...

Hallo Chris,

ich stimme dir völlig zu: es kann in der Tat nicht unser Anliegen sein, den SchülerInnen ein Schuldgefühl zu vermitteln für etwas, was sie nicht zu verantworten haben. Aber es muss darum gehen zu zeigen, dass niemand quasi genetisch zum Täter bzw. Opfer oder Widerstandskämpfer vorbestimmt ist.

Ich halte es für wichtig den SchülerInnen zu vermitteln, dass sie verantwortlich sind für das, was heute geschieht und dass es leicht ist, über Zivilcourage und Widerstand zu reden, aber doch recht schwieirg dies selbst in einer liberalen und demokratischen Gesellschaft zu tun. Ich fürchte, dass wir alle in vielen Fällen bequem sind, das Wegsehen dem Handeln vorziehen etc. Hier ist die Adorno Skala eine Möglichkeit, die SchülerInnen dafür zu sensibiliseren.

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